Was ist richtig beim Yoga? Tiefe Bauchatmung oder Zwerchfellatmung?

Die Atmung ist das Fundament unserer Yogapraxis. Sie verbindet Körper und Geist, lenkt die Aufmerksamkeit nach innen und kann, richtig eingesetzt, die Mobilität des gesamten Körpers erheblich steigern. Doch es gibt ein weit verbreitetes Missverständnis im Yoga, das wir heute gemeinsam beleuchten wollen: die tiefe Bauchatmung.

Das Missverständnis der „tiefen Bauchatmung“

Oft wird die tiefe Bauchatmung im Yoga als die optimale Atemtechnik gepriesen, die all unsere Probleme lösen soll. Es stimmt, dass sie eine wertvolle Pranayama-Übung sein kann, die unser zentrales Nervensystem beruhigt und bei bewusster Durchführung entspannend wirkt. Als gezielte Übung zum Entspannen ist sie durchaus empfehlenswert. Doch aus biomechanischer Sicht ist die Vorstellung, dass eine „tiefe“ Bauchatmung der Hauptweg zu einer gesunden und effizienten Atmung ist, irreführend.

Der primäre Muskel für unsere Atmung ist das Zwerchfell, welches im Brustkorb angesiedelt ist. Zwar bewegt sich das Zwerchfell beim Einatmen nach unten in Richtung Bauch und beim Ausatmen wieder nach oben, aber die Lungenflügel, die den Großteil unserer Atemkapazität ausmachen, befinden sich im Brustkorb.

Wenn wir uns ausschließlich auf die Bauchatmung konzentrieren, mag sich der Bauch ausdehnen und wieder zusammenziehen, doch die volle Kapazität der Lungen im Brustkorb wird dabei oft nicht ausgeschöpft. Dies ist ein wesentlicher Grund, warum eine reine Bauchatmung nicht ideal ist. Hinzu kommt, dass bei einer Veranlagung zum Hohlkreuz eine tiefe Einatmung in den Bauch die Hohlkreuzposition noch verstärken kann, da der Bauch dabei nach vorne gedrückt wird.

Die biomechanisch korrekte Zwerchfellatmung

Die biologisch vorgesehene und biomechanisch logische Art beim Yoga zu atmen ist die Diaphragmatic breathing. Was bedeutet das konkret für deine Praxis?

1. Aktives Zwerchfell:

Das Zwerchfell muss die Bewegung des Absenkens beim Einatmen und Anhebens beim Ausatmen aktiv ausführen.

2. Harmonie mit dem Beckenboden:

Parallel zum Zwerchfell bewegt sich auch der Beckenboden – er senkt sich ab und hebt sich wieder an, auch wenn diese Bewegung oft weniger deutlich spürbar ist als die des Zwerchfells.

3. Fokus auf die Rippenexpansion:

Die effektivste Methode, die Zwerchfellatmung zu üben, ist, die Hände auf die unteren Rippen zu legen und bewusst in diesen Bereich einzuatmen. Ziel ist eine deutliche Ausweitung der unteren Rippen, was zu einer Mobilisierung dieses Körperbereichs führt.

4. Gesamte Brustkorb-Expansion:

Es reicht nicht aus, nur die unteren Rippen auszuweiten. Vielmehr sollte sich der gesamte Brustkorb insgesamt etwas ausdehnen, insbesondere zur Seite hin. Dies führt dazu, dass sich die Wirbelsäule bei der Einatmung leicht verlängert und bei der Ausatmung leicht komprimiert wird, was biomechanisch korrekt ist und bei jedem Atemzug geschehen sollte.

Der Unterschied zur Bauchatmung

Bei der reinen Bauchatmung findet kaum Bewegung in den Rippen statt. Der entscheidende Unterschied liegt in dieser (vornehmlich) seitlichen Ausdehnung des Brustkorbs. Wenn du bei der Zwerchfellatmung eine Hand auf deinen Bauch legst, wirst du feststellen, dass dort nur eine minimale Ausweitung stattfindet, nicht das starke Nach-vorne-Drücken, das bei der tiefen Bauchatmung geschieht.

Es ist in der Praxis häufig zu beobachten, dass grundsätzlich die meisten Erwachsenen die Fähigkeit zur Ausweitung und zum Zusammenziehen des Brustkorbs verloren haben. Dies geschieht durch Stress und Anspannung, aber auch, im Fall von vielen Yogapraktizierenden, weil sie über Jahre hinweg gelernt haben, eine tiefe Bauchatmung zu praktizieren. 

Die weitreichenden Vorteile der Zwerchfellatmung

Die Umstellung auf die Zwerchfellatmung kann eine massive positive Veränderung in deinem Körper bewirken. Sie bietet unglaubliche Vorteile:

  1. Lösung von Anspannung: Du löst sämtliche Anspannung im Brustkorb auf.
  2. Reaktivität der Brust- und Beckenmuskulatur: Durch die Bewegung der Rippen und das harmonische Zusammenarbeiten des Beckenbodens mit dem Zwerchfell wird das Becken bei der Einatmung leicht ausgeweitet und bei der Ausatmung leicht zusammengezogen, was die Beweglichkeit und Reaktivität der Muskulatur fördert.
  3. Ganzkörperliche Mobilität: Indem du einfach nur korrekt atmest, arbeitest du an der gesamten Mobilität deines Körpers.

Atmung, Haltung und Kompensationsmuster

Die Art und Weise, wie wir atmen, beeinflusst unsere gesamte Körperhaltung und unser Wohlbefinden. Eine eingeschränkte und komprimierte Brustkorbposition kann die vollständige Zwerchfellatmung erheblich beeinträchtigen und verhindert, dass sich der Brustkorb mit jedem Atemzug in alle Richtungen ausdehnen kann. Wenn sich der Brustkorb nicht richtig öffnen kann, entwickelt der Körper Kompensationsstrategien, wie zum Beispiel das Vorschieben des Kopfes, um die Atemwege zu öffnen. Dies verstärkt auf Dauer eine ungünstige Haltung. (nähere Informationen dazu findest du here).

Conclusion:

Die bewusste Umstellung deiner Atmung kann eine enorme positive Veränderung in deinem Körper bewirken. Probiere die Zwerchfellatmung bewusst aus:

  • Lege deine Hände auf die unteren Rippen.
  • Atme ein und spüre die Ausweitung des gesamten Brustbereichs, besonders zur Seite.
  • Atme aus und lasse alles wieder zusammenziehen.

Auch wenn es am Anfang schwierig ist, bleib dabei. Die Zwerchfellatmung ist ein entscheidendes Tool, um deine Yogapraxis zu vertiefen, Anspannung zu lösen und die Mobilität deines gesamten Körpers nachhaltig zu steigern.

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