Yoga im Stehen – Stabilität, Ausrichtung und Präsenz kultivieren
Yoga im Stehen ist weit mehr als ein körperliches Training. Es verbindet Erdung mit Aufrichtung, Stabilität mit Leichtigkeit und verkörpert in besonderer Weise die Idee, innerlich wie äußerlich präsent zu sein. Stehhaltungen gehören zu den kraftvollsten Asanas im Yoga – sowohl biomechanisch als auch energetisch. Sie fordern uns auf, unser Gleichgewicht zu finden, unsere Mitte zu spüren und uns bewusst mit dem Boden zu verbinden.
Warum stehende Haltungen so wertvoll sind
Stehhaltungen aktivieren die größten Muskelketten des Körpers, fördern die Körperwahrnehmung und verbessern Haltung und Ausrichtung. Sie trainieren nicht nur Kraft, sondern vor allem funktionelle Stabilität – also die Fähigkeit, in der Bewegung Halt zu finden. Gleichzeitig regen sie das vegetative Nervensystem an, fördern die Durchblutung und können dabei helfen, sich in stressigen Momenten zu zentrieren.
Aus biomechanischer Sicht schaffen sie die Grundlage für eine gesunde Körperhaltung: Die bewusste Ausrichtung von Füßen, Becken, Brustkorb und Schultern in stehenden Positionen wirkt direkt auf die Körperstatik und trägt zur Reduktion kompensatorischer Spannungen bei – etwa bei Asymmetrien, Hohlkreuz oder nach innen gezogenen Schultern. Gleichzeitig lassen sich Mobilität und Kraft gezielt ansteuern – insbesondere rund um das Becken herum, in der Beinachse und dem Schultergürtel. Stehende Haltungen helfen dabei:
- die Beinachsen zu stabilisieren (z. B. bei Tendenz zu X- oder O-Beinen).
- das Becken zu zentrieren (z. B. bei einseitiger Belastung, anteriorer oder posteriorer Beckenneigung).
- die Wirbelsäule aus der Basis heraus aufzurichten.
- den Schultergürtel in seiner natürlichen Position zu stabilisieren (z.B. bei nach vorne gezogenen Schultern oder ungleicher Schulterhöhe).
Indem du bewusst in die Füße spürst und dich von dort aus aufrichtest, verbessert sich auch die sensorische Rückmeldung (Propriozeption), was die Ansteuerung von Muskelgruppen verbessert und die emotionale Selbstregulation durch das Nervensystem unterstützt.
Yogaübungen im Stehen für Erdung, Ausrichtung und Balance
Ich habe dir eine kurze, 15-minütige Yogaeinheit im Stehen aufgenommen. Schau Sie dir direkt an:
Falls du die Übungen lieber in Ruhe für dich ausführen möchtest, findest du nachfolgend einige der Asanas aus dem Video:
1. Tadasana – Berghaltung mit bewusster Ausrichtung
- Stelle die Füße hüftbreit mit den Fußinnenkanten parallel auf.
- Verlagere dein Gewicht gleichmäßig auf beide Füße – spüre Fersen, Groß- und Kleinzehballen.
- Aktiviere sanft deine Oberschenkel, hebe dein Brustbein, ohne ins Hohlkreuz zu fallen.
- Lass die Schultern weich nach hinten-unten sinken und halte den Nacken lang.
- Bleibe für 8-10 bewusste Atemzüge in dieser Haltung. Schließe dabei gerne die Augen und spüre in deine Füße und deine Erdung auf dem Boden.

Nutzen: Fördert die aufrechte Haltung, Zentrierung und bewusste Atmung. Reduziert Spannungen im Nacken und aktiviert den Parasympathikus.
2. Utkatasana – Der kraftvolle Stuhl
- Beuge sanft die Knie und schiebe das Gesäß nach hinten unten, als wolltest du dich auf einen Stuhl setzen.
- Die Knie bleiben hinter den Zehen, der Brustkorb hebt sich leicht an.
- Bringe leichte Spannung in den Bauch, um nicht ins Hohlkreuz zu fallen.
- Strecke die Arme nach oben, dabei die Schultern entspannt lassen.
- Bleibe für 5-6 bewusste Atemzüge in dieser Haltung.

Nutzen: Kräftigt Beine und Gesäß, fördert die Stabilität im Becken und aktiviert die tiefe Bauchmuskulatur. Ideal zur Korrektur bei anteriorer Beckenausrichtung (Hohlkreuz).
3. Virabhadrasana II – Krieger 2
- Mache einen großen Ausfallschritt, vorderes Knie über dem Knöchel, hinteres Bein gestreckt. Dein hinterer Fuß ist parallel zum schmalen Mattenende, während dein vorderer Fuß l parallel zur langen Mattenseite ausgerichtet ist.
- Strecke die Arme zu den Seiten aus, Blick über die vordere Hand.
- Halte das Becken neutral (nicht nach vorn kippen) und den Oberkörper aufgerichtet.
- Bleibe für 6-8 tiefe Atemzüge in dieser Haltung, dann wechsle die Seiten.

Nutzen: Fördert Standfestigkeit, öffnet den Brustkorb und stabilisiert das Becken. Unterstützt bei asymmetrischen Mustern wie dem Left AIC Pattern, da gezielte Beinachsenkorrekturen integriert werden können und auch durch unterschiedliche Anzahl an Wiederholungen asymmetrisch geübt werden kann, z.B. häufiger rechts als links im Fall eines Left AIC Patterns.
4. Trikonasana – Dreieckshaltung
- Strecke beide Beine, weite den Schritt und strecke die Arme auf Schulterhöhe.
- Kippe das Becken zu einer Seite und ziehe deinen Oberkörper und Arm so weit du kannst auf diese Seite.
- Greife dann mit der vorderen Hand deinen Ober- oder Unterschenkel und rolle die Schulter zurück.
- Der obere Arm zeigt zur Decke, die Schulter ist nach hinten gerollt.
- Der Blick geht nach oben oder geradeaus.
- Bleibe für 6-8 Atemzüge in dieser Haltung, dann wechsle die Seiten.

Nutzen: Fördert die seitliche Dehnung der Flanken, unterstützt die Rotationsfähigkeit im Oberkörper und trainiert die stabilisierende Muskulatur des Rumpfes. Besonders hilfreich bei Rippenrestriktionen und asymmetrischer Atembewegung.
5. Breitbeinige Vorbeuge
- Bringe deine Füße mindestens mattenweit auseinander, deine Beine sind gestreckt.
- Bringe deine Hände an die Hüften und beuge dich dann langsam, vom Brustkorb angeführt, nach vorne.
- Du kannst deine Hände entweder auf den Hüften lassen, oder in Richtung Boden und zwischen deine Füße bringen.
- Bleibe für 6-8 tiefe Atemzüge in dieser Haltung.

Nutzen: Diese Haltung löst Verspannungen im Schulter- und Nackenbereich, dehnt den gesamten Rücken und fördert eine tiefe Entspannung sowie das Gefühl der Ruhe und Erdung.
Fazit
Yoga im Stehen verbindet dich mit deiner inneren Kraft und äußeren Stabilität. Die bewusste Ausrichtung in diesen Haltungen kann tiefgreifende Veränderungen im Körperbewusstsein, in der Atmung und in der emotionalen Präsenz bewirken. Stehhaltungen sind eine wunderbare Möglichkeit, funktionelle Haltungsmuster auszugleichen, das Nervensystem zu regulieren und im wahrsten Sinne des Wortes wieder „fest im Leben zu stehen“. Egal, ob du Yoga für mehr Beweglichkeit, emotionale Balance oder als körperliches Training nutzt – stehende Asanas dürfen in deiner Praxis nicht fehlen.