Drehhaltungen für die gesamte Wirbelsäule: Biomechanische Grundlagen und effektive Praxis

Drehhaltungen (Twists) sind ein zentraler Bestandteil des Yoga, um Flexibilität, Mobilität und Stabilität der Wirbelsäule zu verbessern. Doch um die volle Wirkung dieser Asanas zu entfalten und unnötige Belastungen zu vermeiden, ist ein grundlegendes Verständnis der Biomechanik der Wirbelsäule erforderlich. In diesem Artikel erfährst du, wie Drehhaltungen auf die unterschiedlichen Abschnitte der Wirbelsäule wirken und welche biomechanischen Prinzipien du beachten solltest, um sie effektiv und sicher auszuführen.


Biomechanik der Wirbelsäule in Drehhaltungen

Die Wirbelsäule ist in drei Hauptabschnitte unterteilt, die sich in ihrer Struktur und Beweglichkeit unterscheiden:

  1. Die Halswirbelsäule (HWS) – sehr beweglich, insbesondere in der Rotation
  2. Die Brustwirbelsäule (BWS) – der Hauptakteur in Drehbewegungen
  3. Die Lendenwirbelsäule (LWS) – eher auf Beugung und Streckung spezialisiert, mit eingeschränkter Rotationsfähigkeit

Halswirbelsäule: Die Rolle des Kopfes in Twists

Die obersten beiden Halswirbel (Atlas und Axis) sind besonders für Rotationsbewegungen ausgelegt. Hier entsteht der größte Anteil der Kopfrotation. Häufig haben wir den Eindruck, dass wir in einer tiefen Drehhaltung sind, haben aber eigentlich vor allem den Kopf gedreht und nur wenig den Rest der Wirbelsäule. 

Brustwirbelsäule: Das Zentrum der Rotation

Die Brustwirbelsäule besitzt durch ihre Verbindung mit den Rippen eine eingeschränkte Beweglichkeit in der Beugung und Streckung, ist aber besonders gut für Rotationsbewegungen geeignet. Die meisten Drehhaltungen im Yoga zielen darauf ab, die Rotation in der BWS zu optimieren. Aufgrund unserer natürlichen Asymmetrie ist es dabei für die meisten Menschen einfacher, BWS gegen den Uhrzeigersinn zu drehen als im Uhrzeigersinn, was u.a. aufgrund einer erhöhten Muskelspannung im vorderen Brustbereich rechts zustande kommt.

Lendenwirbelsäule: Stabilität statt Rotation

Die LWS ist biomechanisch für Beugung und Streckung optimiert, während ihre Rotationsfähigkeit stark limitiert ist. Auch hier macht sich die natürliche Asymmetrie jedes Menschen bemerkbar, da unsere Lendenwirbelsäule bereits eine sehr leichte Rotation im Uhrzeigersinn aufweist, was insbesondere durch das stärker auf der rechten Seite ausgeprägte Zwerchfell zu begründen ist. 


Biomechanische Prinzipien für sichere und effektive Drehhaltungen

  1. Dynamisches Zusammenspiel von Becken und Wirbelsäule
    Je nach Position der Beine und des Beckens kann eine Drehhaltung erleichtert oder erschwert werden. Beispielsweise begünstigt ein neutral ausgerichtetes Becken die Rotation in der Brustwirbelsäule, während eine einseitige Beckenrotation zu kompensatorischen Mustern in der LWS führen kann.
  2. Atem als Unterstützung der Rotation
    Eine bewusste Atemführung verstärkt den Effekt von Twists. Beim Einatmen wird die Wirbelsäule natürlich verlängert, während das Ausatmen zu einer erhöhten Stabilität beiträgt und deshalb im Yoga gerne genutzt wird, tiefer in die Rotation reinzugehen.
  3. Vermeidung kompensatorischer Bewegungen
    Menschen mit einer ausgeprägten anterioren Beckenrotation (z. B. bei Hohlkreuz/Anterior Pelvic Tilt) neigen dazu, übermäßig aus der LWS zu drehen, da ihre BWS oft in einer gestreckten Position verharrt. In solchen Fällen helfen vorbereitende Übungen, um die Flexibilität der BWS zu verbessern und eine gesunde Rotationsverteilung zu ermöglichen.
  4. Aktive Muskelkontrolle statt passiver Dehnung
    Drehhaltungen sollten nicht durch maximales „Hineindrehen“ erzwungen werden, sondern aktiv durch gezielte Muskelanspannung unterstützt werden. Insbesondere die schrägen Bauchmuskeln, der Gluteus Medius und die Rumpfstabilisatoren sind essenziell, um die Drehung funktionell auszuführen.

Effektive Drehhaltungen und deren biomechanische Schwerpunkte

Ich habe dir eine 90-minütige Yogastunde mit Drehhaltungen für die gesamte Wirbelsäule aufgenommen:

Falls du gerade keine Zeit für ein ganzes Video hast oder die Übungen lieber selbst durchführen möchtest, findest du nachfolgend einige Drehhaltungen aus dem Video mit Beschreibungen:

1. Ardha Matsyendrasana (Der halbe Drehsitz)

Der Hauptfokus dieser Asana liegt auf der Rotation der BWS.

  • Setze dich in Sukhasana (Schneidersitz)
  • Mit deiner Ausatmung drehe dich aus der Brustwirbelsäule in Richtung deiner rechten Schulter
  • Bringe deine rechte Hand hinter dir auf den Boden, deine linke Hand auf dein rechtes Knie bzw. deinen rechten Oberschenkel
  • mit jeder Einatmung richtest du dich mehr auf und mit jeder Ausatmung bewegst du dich noch etwas tiefer in die Drehung
  • Halte den Twist für ca. 30 Sekunden, dann komme über die Mitte in die Drehung zur linken Seite.
  • Wiederhole die Übung 2-4 Mal auf jeder Seite. Wechsle zwischendrin die “Verschränkung” deiner Beine im Schneidersitz  

    Wichtig: Halte dein Becken stabil und initiiere die Rotation aus der BWS

    2. Parivrtta Parsvakonasana (Der gedrehte Winkel)

    Der Hauptfokus dieser Asana liegt auf der Rotation der BWS. Außerdem werden Gleichgewicht und die seitliche Rumpfstabilität trainiert.

    • Komme in die Krieger II-Position: Bringe deinen hinteren (linken) Fuß parallel zur kurzen Mattenseite. Mache dann einen großen Schritt nach vorne mit deinem rechten Fuß und richte die Zehen deines vorderen Fußes zum vorderen Mattenende aus. Dein hinteres, linkes Bein ist gestreckt, dein vorderes Bein ist gebeugt, dein rechtes Knie befindet sich über deinem Fußgelenk.
    • Komm langsam in eine Drehung, indem deine linke Hand an der Außenseite deines rechten Fußes aufsetzt. Nimm dir dazu ggf. einen Yogablock zur Hilfe.
    • Achte darauf, im Becken stabil zu bleiben und tief zu atmen.
    • Bleibe für 5 tiefe Atemzüge in dieser Haltung, dann wechsle die Seiten.

    Wichtig: Vermeide eine übermäßigen Rotation aus der LWS

    3. Jathara Parivartanasana (Die liegende Drehung)

    Der Hauptfokus liegt bei dieser Asana auf der sanften Mobilisation der BWS und Entspannung der Rumpfmuskulatur.

    • Lege dich auf den Rücken 
    • Bringe dein rechtes Bein in einen 90° Winkel und deine Arme im 90° Winkel ausgestreckt neben den Körper.
    • Bringe dein rechtes Knie rüber auf die linke Seite. Gerne kannst du deine linke Hand auf dein Knie bringen. 
    • Aktiviere sanft die Bauchmuskulatur etwas und drücke die rechte Seite des Beckens etwas von dir weg, um die Wirbelsäule in eine Linie zu bringen
    • Blicke in Richtung deiner rechten Hand.
    • Halte diese Drehung für ca. 30 Sekunden und wechsle dann auf die andere Seite. 
    • Wichtig: achte auf die aktive Kontrolle der Rotation durch den Atem

    4. Parivrtta Utkatasana (Die gedrehte Stuhlhaltung)

    Der Hauptfokus bei dieser Asana liegt auf Rumpfkraft, Stabilität und Rotation.

    • Komme in den Stuhl: deine Füße sind hüftbreit voneinander entfernt, deine Arme nach oben gestreckt.
    • Fange an, deine Knie zu beugen und das Gewicht  verstärkt auf deine Fersen zu bringen. 
    • Bringe anschließend deine Handflächen vor deiner Brust zusammen und bringe dann deinen rechten Ellenbogen an die Außenseite deines linken Knies.
    • Achte darauf, dass deine Wirbelsäule gestreckt bleibt. 
    • Bleibe für ca. 30 Sekunden in dieser Haltung und atme tief. Dann wechsle die Seiten.  
    • Wichtig: achte auf ein Gleichgewicht zwischen Beckenstabilität und Wirbelsäulenmobilität

    Fazit

    Drehhaltungen sind eine wertvolle Praxis, um die Mobilität der Brustwirbelsäule zu fördern. Eine bewusste Ausrichtung unter Berücksichtigung biomechanischer Prinzipien verhindert kompensatorische Muster und kann dabei helfen, natürliche Asymmetrien im Körper zu reduzieren, sodass diese erst gar nicht zu Beschwerden führen können. 

    Wenn Yogalehrende und Yogapraktizierende ihr Verständnis für die Funktion der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte vertiefen, können sie Drehhaltungen gezielter einsetzen und damit langfristig zur Wirbelsäulengesundheit beitragen.

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